Wer sind die Jenischen in der Schweiz
Ein kurzer Einblick in eine andere Kultur

Die Jenischen sind eine seit Jahrhunderten bestehende Bevölkerungsgruppe in
der Schweiz und den umliegenden europäischen Ländern. Da ein Teil von ihnen
mindestens im Sommerhalbjahr auf Reise ist und Kunden besucht, werden sie
auch „Fahrende“ genannt. Der Volksmund spricht meist abschätzig auch von
„Zigeunern“.
Seit 2016 sind die Jenischen zusammen mit den ihnen nahestehenden Sinti als
nationale Minderheit der Schweiz anerkannt.
Gewerbetreibende und Händler
Jenische sind traditionell in gewerblichen Berufen tätig oder verdienen ihren
Lebensunterhalt durch Hausieren von Haus zu Haus. Doch heute sind sie nicht
mehr als Scherenschleifer, Schirmflicker oder Korber unterwegs, sondern bieten
oft moderne Dienstleistungen an wie Hausrenovationen. Jüngere betätigen sich
auch in kulturellen Berufen – vom Computergrafiker bis zur Filmemacherin.
Aber das Handwerkliche bleibt oft weiterhin prägend. Und prägend bleibt das
Bewusstsein, aus einer besonderen Volksgruppe zu stammen.
Eigene Sprache – das Jenische
Jenische haben eine eigene Sprache, die sie gegenüber Sesshaften oft verborgen
halten, dies weil die Verständigung in der eigenen Sprache ihnen in Momenten
der Gefahr eine Hilfe sein kann. Das Jenische ist eine poetische Sprache, die auf
der jeweiligen Sprache, wo sie gesprochen, wird aufbaut – zum Beispiel auf
dem Deutschen oder Französischen –, aber auch Elemente aus anderen Sprachen
enthält, etwa dem Jiddischen oder der Sprache der Sinti-Verwandten. Denn
Jenische sind wegen ihrer Tradition als Händler oft international vernetzt, sie
pflegten seit Jahrhunderten grenzüberschreitende Geschäfte, Kontakte und
Beziehungen. So gibt es Jenische oder verwandte Gruppen in Deutschland,
Österreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, aber auch in Frankreich
und Italien. Vergleichbar sind auch die Travellers in Grossbritannien und Irland.
Jenische und Roma, zwei Volksgruppen
Verbunden sind Jenische seit jeher mit Roma, die indes eine eigene Geschichte,
eine eigene Sprache und eigene Traditionen aufweisen. Die grosse Mehrheit der
Roma sind sesshaft und leben seit Jahrzehnten in unserem Land, einige Spuren
weisen auf jahrhundertelange Anwesenheit zurück. Gelegentlich begegnen sich
Jenische und fahrende Roma auf den Plätzen. Durch gemeinsam erlebte
Diskriminierungen, aber auch durch Verbindungen in der Geschichte der
Organisationen sowie über die populären Vorurteile und Bilder über „Zigeuner“
sind Jenische und Roma miteinander verbunden.
Massiv verfolgt, die Kindswegnahmen
Jenische und Sinti sind in der Schweiz im 20. Jahrhundert wegen ihrer
Lebensweise und teilweise auf Grund von Projektionen der Sesshaften massiv
verfolgt worden. Viele Sesshaften glaubten, Jenische seien schlechte Eltern,
seien chronische Alkoholiker und regelmässige Diebe, weshalb die Organisation
Pro Juventute sich mit Hilfe von Bund und Kantonen vornahm, diese Menschen
zu „normalen Bürgern“ zu machen. Das geschah, indem man den Eltern ihre
Kinder wegnahm. Seit Mitte der zwanziger Jahre wurden mindestens 600
Kinder ihren Eltern entrissen, teilweise zwangspychiatrisiert und in Heime
gesteckt. Vermutlich sind es viel mehr, da auch andere Hilfsorganisationen wie
etwa das „Seraphische Liebeswerk“ in Solothurn und manche Gemeinde
behörden an diesen Massnahmen beteiligt waren. Viele Betroffene leiden heute
noch darunter, da diese Massnahmen erst Anfang 1970er Jahren eingestellt
wurden. Und das jenische Volk leidet als Ganzes darunter, da mit den
Verfolgungen ein Selbstbewusstsein beschädigt wurde und ein
Kulturzusammenhang unterbrochen wurde, womit oft die stabilisierende Kraft
der Tradition verlorenging.
Neuorganisation in den 1970er Jahren
Seit den 1970er Jahren haben sich die Jenischen in der Schweiz zu organisieren
begonnen. Die Radgenossenschaft der Landstrasse (heutiger Präsident: Daniel
Huber) ist die wichtigste Organisation, die aus dieser Erneuerung hervorging
und 1985 gegründet wurde. Sie gilt auch als „Dachorganisation“ der Jenischen.
Doch mit der Selbstorganisierung waren die Schwierigkeiten nicht beseitigt.
Denn Jenische haben einerseits weiterhin mit Vorurteilen der Sesshaften zu
kämpfen. Und anderseits ringen sie mit den inneren Problemen, die oft mit ihrer
eigenen Geschichte zu tun haben: Traumatisierungen, Verunsicherungen,
Aggressionen, auch mangelnde Schulbildung. Das führt unter anderem dazu,
dass jenische Organisationen oft von der Hilfe von Sesshaften abhängig sind.
Das hat sich wiederholt als problematisch erwiesen, da Sesshafte immer wieder
eine Neigung zeigten, zu dominieren und Jenische zu bevormunden, wenn nicht
gar abschätzig zu behandeln oder auszubeuten.
Viele Fähigkeiten
Da Fahrende in den Sommermonaten oft unterwegs sind, erfolgt auch die
Bildung anders als bei Sesshaften. Jenische lernen Sprache, Kultur und
Traditionen zuerst bei den Eltern, sie sind meist ausserordentlich geschickt im
Handwerklichen, sie lernen intuitiv neue Tätigkeiten, wenn es der Markt
erfordert, und sie kennen das Geschäft des Handelns. So sind sie imstande, sich
praktisch in jeder Konjunktur und in jeder neuen wirtschaftlichen oder
technologischen Situation zu behaupten. Da sie aber oft nur teilweise die Schule
besucht haben, ist umgekehrt ihre formale Schulbildung manchmal niedrig:
Schreiben, lesen, Rechnen und Buchführung ist leider nicht, was Jenische
unterwegs mit ihren Eltern am besten lernen. Auch das Juristische und
Behördenformulare stellen oft eine abstrakte und entfernte Welt dar. Heute
äussern ältere Jenischen selber den Wunsch, ihren Kindern und Enkelkindern zu
einer besseren Bildung, als sie selber genossen haben, zu verhelfen
Jenische brauchen manchmal auch im Deutschen eigenartig scheinende
Formulierungen; hier kommen manchmal Konstruktionen aus der jenischen
Sprache zur Wirkung.
Anerkannt durch internationale Vereinbarungen
Jenische und Sinti bilden im Rahmen der Schweizer Staatlichkeit eine kulturell,
politisch und sozial eigenständige Volksgruppe, welche als die einzige territorial
nicht gebundene nationale Minderheit in der Schweiz anerkannt ist. Die Schweiz
hat 1998 die europäische Konvention über den Schutz der Minderheiten
unterzeichnet und versteht darunter ausdrücklich die Jenischen und Sinti, wie
Bundesrat Alain Berset an der „Fecker-Chilbi“ in Bern 2016 erklärt hat. Ebenso
ist das Jenische als Sprache – gleich wie das Jiddische – als territorial nicht
gebundene Minderheitensprache anerkannt. Daraus folgt die Verpflichtung für
die Behörden aller Stufen, jenische Kultur zu unterstützen und zu schützen –
ohne die Jenischen als Personen zu bevormunden.

Radgenossenschaft der Landstrasse